Ware nur auf Nachfrage. Auslage in Arbeit

2024

Ware nur auf Nachfrage. Auslage in Arbeit

Einzelausstellung im Kunstraum Lakeside, Klagenfurt, AT
Ausstellung, 12. Juni – 13. September 2024

Installation, Tauschbörse und Hörstück

Am Abend der Eröffnung las Vina Yun, hosted by Steffi Parlow,
um 18:30 Uhr ihren Essay „Essen“ aus dem Band „Eure Heimat
ist unser Albtraum“ (Hg. Fatma Aydemir & Hengameh Yaghoobifarah,
Ullstein, 2019).

Steffi Parlow stellt Situationen her, die sich durch ihre Uneindeutigkeit auszeichnen. Die bildende Künstlerin und Köchin lädt Menschen ein, offen zu sein und sich auf das von ihr Dargebotene einzulassen. Eines ihrer Medien sind Speisen, die sie nicht nur konzipiert, sondern auch eigenhändig zubereitet. Parlows Auseinandersetzung mit Kochen und Essen ist vielfältig. „Besonders im Kontext von Lebensmitteln interessiert mich die Diskrepanz zwischen visueller Aversion, unbedingter Neugier und geschmacklicher Hingabe. Textur und Konsistenz spielen eine ebenso große Rolle wie Geschmack und Erinnerungen, sei es bei industriell verarbeiteten Lebensmitteln oder aufwendig von Hand hergestellten“, so die Künstlerin. Das Kochen zu einer zentralen künstlerischen Ausdrucksform zu machen und dabei andere Strategien als die der Haubenküche zu verfolgen, bedeutet, einer ganz grundlegenden menschlichen Tätigkeit jene Aufmerksamkeit zu schenken, die ihr gebührt.

In Steffi Parlows Praxis wird die temporäre Zusammenkunft anlässlich einer Performance oder eines Gastmahls mitunter zum eigentlichen Werk. Dabei versteht die Künstlerin die Gestaltung der zum Einsatz gebrachten Gegenstände und Räume sowie die dadurch entstehenden Situationen als genuin skulpturale Aufgaben. Die dafür von ihr geschaffenen Elemente – ob Skulpturen, Installationen oder ungewöhnliche Behältnisse für Speisen – sind wie sie selbst und ihre Gäste gleichrangige Co-Performer*innen. Zentral bei Steffi Parlows Herangehensweise ist, dass sie zwischen unterschiedlichen Disziplinen wechselt bzw. diese punktuell überlappen lässt: Ihre bildhauerische und installative Praxis, ihr soziales Engagement, ihre Arbeit als Köchin – sie wirft all dies in einen Topf und lotet aus, wie das Gestalten von Gegenständen und Prozessen neue Begegnungs- und Handlungsräumen eröffnen kann. Es sind somit die Schnittstellen zwischen performativer Aktion, Objekt und sozialer Interaktion, die ihr künstlerisches Schaffen bestimmen.

Für den Kunstraum Lakeside entwickelt Steffi Parlow eine neue Installation, bei der es um konkrete Erinnerungen geht und wie diese an bestimmte Lebensmittel geknüpft sind. Formaler Anknüpfungspunkt ist das Kinderzimmer der Künstlerin, in dessen Boden eine Luke eingelassen war, die zur Speisekammer der Familie führte. Darin fanden sich auf selbstgebauten Regalen eingerextes Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten. Geboren 1983 in der ehemaligen DDR, erinnert sich die Künstlerin an eine familiäre Vorratshaltung, für die es in der Gegenwart mit der ständigen Verfügbarkeit von frischen Lebensmitteln offenbar keine Notwendigkeit mehr gibt. In ihrer Erinnerung ging es damals aber nie nur um das Sicherstellen von Nahrungsmitteln in einer unsicheren Versorgungssituation, sondern vor allem auch um familiäre Geborgenheit, um das Mit- und Zueinander, Verbindungslinien und gemeinsame Geschichte(n). All dies nahm gleichsam in den Vorratsgläsern Gestalt an.

Die räumlich-architektonischen Voraussetzungen ihres Kinderzimmers und der darunterliegenden Speisekammer mit dem currygelben Teppich und den Regalen aufgreifend, schafft Parlow eine Plattform für Praktiken der Fürsorge, die zwar zentral für die Qualität des menschlichen Zusammenlebens sind, die innerhalb der bildenden Kunst jedoch selten verhandelt werden. Obwohl die Künstlerin auf konkrete Aspekte in ihrer persönlichen Biografie zurückgreift, geht es ihr nicht ausschließlich darum, ihre Erinnerungen im Detail mitzuteilen. Vielmehr stellt sie eine Atmosphäre her, die Besucher*innen dazu anregt, sich ihrer eigenen Erinnerungen rund um das Essen zu besinnen. So ist der Grundriss von Speisekammer und Kinderzimmer um das 1,5-fache vergrößert, die skulpturalen Elemente der Installationen sind keine exakten Rekonstruktionen, sondern abstrahierte Repräsentanten, und auch die nachproduzierten Wurstpapiere stammen nicht aus der Kindheit der Künstlerin. All diese Elemente dienen vielmehr als Katalysatoren für das Aufrufen von verkörpertem Wissen – verkörpertem Wissen der Künstlerin sowie Wissen der Besucher*innen.

Wie eine gute Gastgeberin nimmt sich die Künstlerin zurück und verschafft Dingen, die vergessen oder häufig übersehen werden, die nötige Aufmerksamkeit. Steffi Parlow ermöglicht den Austausch der Besucher*innen mit ihr selbst und untereinander. Denn die in der Ausstellung in Einmachgläser aufbewahrten Speisen sind nicht nur Gegenstände, die betrachtet werden wollen, sondern sie warten darauf, gegessen zu werden, genauso wie die Regalbretter darauf warten, für die Besucher*innen bedeutsame Dinge aufzunehmen. Wer möchte, kann Gegenstände in den Kunstraum Lakeside im Austausch mit einem von Steffi Parlows Gläsern einbringen. Das Teilen und Tauschen versteht sie dabei als grundlegende Elemente einer solidarischen Praxis, die sich wie ein Netzwerk über mehrere Orte verteilt.

Das Einkochen von Lebensmitteln und ihr Aufbewahren im familiären Keller wird in dieser Arbeit zur Metapher für ein nichthierarchisches Depot, in dem Dinge, die für das Leben einer Gemeinschaft zuträglich sind, bewahrt sowie bei Bedarf genutzt werden können. Zudem dienen die Speisen als Informationsspeicher, ruft doch Geruch, Haptik und Geschmack bei jeder Person, die sie probiert, unwillkürlich Erinnerungen hervor, die nicht immer mit jenen anderer Personen ident sind. Die von den Besucher*innen mitgebrachten Gegenstände sollen ebenso als nonverbale Botschaften nicht-kodifizierten Wissens fungieren.

Der Titel der Ausstellung Ware nur auf Nachfrage. Auslage in Arbeit unterstreicht das Prozesshafte des gesamten künstlerischen Settings. Die Versatzstücke aus der Kindheit der Künstlerin in der Installation werden ergänzt durch solche aus dem Bereich des Konsums und der Werbestrategien. Sie eröffnen neue Assoziationen und Möglichkeiten, das Präsentierte zu verstehen – und im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen. Steffi Parlow stellt Situationen her, die sich durch ihre Uneindeutigkeit auszeichnen. Diese wahrzunehmen, ohne sie aufzulösen, macht den Reiz aus.

Text: Gudrun Ratzinger
Fotos: Johannes Puch